Philipp W. Wilhelm

March 15, 2014 1:14 pm

# Unvorstellbares: "The Human Centipede 1 & 2"

Centipede, das englische Wort für Tausendfüßler.

Ein possierliches, wenn auch für Insekten extrem aggressives Tierchen.

Und Namensgeber für zwei Filme, die das Unvorstellbare vorstellig machen... bzw. sogar übertreffen.

Der im Jahr 2009 produzierte Streifen "The Human Centipede" war schon auf diversen Filmfestivals Grund dafür, dass unzählige Zuschauer den Saal vorzeitig verlassen haben. Das niederländische Geschwisterpaar Tom und Ilona Six, die sowohl für Regie als auch Buch zuständig waren, haben einen Film erschaffen, der nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks übersteigt, sondern auch die ethischen Werte in Frage stellt. Die Geschichte genauso abartig wie schnell erzählt (Achtung, Spoiler!): Der deutsche Eigenbrödlerarzt Dr. Heiter (haha!) ist soziophob und hat den grandiosen Plan, einen menschlichen Tausendfüssler zu erschaffen. Zufälligerweise regnet es gerade draussen, zwei amerikanische Touristinnen (blond und vollbusig, klar) haben eine Autopanne, geraten in sein Anwesen und werden umgehend ausser Gefecht gesetzt. Im Verließ von Dr. Heiter gibt es noch einen armen Japaner, der weder Englisch noch Deutsch spricht und keine Ahnung hat, was gleich mit ihm passieren wird. Dr. Heiter näht die drei Menschen Popoloch an Mund zusammen, nimmt ihnen die Kniescheiben raus, so dass sie nicht mehr aufstehen können, und voilá: The Human Centipede ist fertig. Das Ganze geht leider nicht unbedingt gut aus, denn die Polizei kreuzt auf, tötet Dr. Heiter / er tötet gleichzeitig die Polizisten, der Japaner nimmt sich das Leben, die nette junge Dame, die das Schlusslicht des Centipedes bildet, stirbt an Blutvergiftung und die dritte im Verbund überlebt. Dummerweise halt als Mittelstück eines "toten Tieres". Film Ende.

Hier mal der Trailer

Soviel also zu Teil 1.

Umstritten, zensiert und für Aufsehen hat er gesorgt, der 3-Mann-Füssler. In seiner Darstellung ist er prinzipiell recht harmlos, man sieht weder die grauenvolle OP, die Dr. Heiter an den armen Statisten vollzieht, noch sieht man explizite Gewaltdarstellung.

Den Horror lässt der Streifen ganz allein im Kopf der Zuschauer entstehen, allein die kranke Idee lässt einen nicht mehr los. Es heisst ja immer, dass die Vorstellungskraft das Tatsächliche übersteigt.

Nach dem fragwürdigen Erfolg des ersten Teils war für das Geschwisterpaar Six schnell klar, es müsse ein Nachfolger kommen, der die "Erwartungen" der "Fans" erfüllt.

Und so kam ich in den Genuss, "The Human Centipede 2 - Full Sequence" zu sehen.

Was soll ich sagen?

Im Teaser zu Teil 2 propagiert Tom Six: “Human Centipede 2 will be the sickest movie of all Time“. Und er stellt den wohl schrecklichsten Bösewicht der Filmgeschichte vor.

Ja. Six hat mit dem zweiten Teil definitiv einen Film geschaffen, der alles bislang Gesehene an Gewaltdarstellung und Sprengung der Vorstellungskraft übersteigt. Ja. Mit dem Parkhauswächter Martin (abstoßend, ekelhaft und absolut brillant: Laurence R. Harvey) hat der Film einen "Bösewicht", der in seiner Handlungsweise, so plump sie sein möge, alles übertrifft, was man im Horrorgenre findet. Ja. "The Human Centipede 2 - The Full Sequence" gehört auf alle Fälle auf den Index und sollte meiner Meinung nach vom Markt verschwinden.

Handlung? Bitte sehr: der in seiner Kindheit vom Vater sexuell missbrauchte, schwer asthmatische und übergewichtige Parkhauswächter Martin ist besessen von einem Horrorfilm mit dem Namen "The Human Centipede" und hat ein Bilderbuch mit Screenshots gebastelt. In seinem Parkhaus schlägt er Leute bewusstlos - egal ob Mann, Frau, Schwanger, Nichtschwanger, Schwarz, Weiss - und bringt sie in ein angemietetes Fabrikgelände, wo er unter Anleitung von Film-Arzt "Dr. Heiter" (Remember Teil 1?) einen 10-Menschen-Centipede bastelt. Dass dabei die Schwangere fast draufgeht ist noch das Harmloseste. Dass in Großaufnahme Kniescheiben herausoperiert werden, Sehnen durchgeschnitten und Zähne mit Hämmern eingedroschen, Zungen herausgerissen und Abführmittel verabreicht werden, das übersteigt jeden Torture Porn wie "Saw" oder "Hostel". Wenn man meint, es wäre schon schlimm genug, setzt "The Human Centipede 2" gern noch eins oder zwei drauf. Unfassbares spielt sich dort ab, und schnell wird klar: das nimmt kein gutes Ende.
Tuts auch nicht. Spätestens, wenn die Schwangere abhaut und während der Flucht ihr Kind zur Welt bringt, das nicht wirklich ein langes Leben vor sich hat, ist es auch genug.

Der Film endet, wie er endet und erinnert dabei an Michael Hanekes Meisterwerk “Funny Games“…. und - auch wenn es echt schwer fällt - das nun zu schreiben... es macht dadurch “The Human Centipede 2" zu einer Art Gesamtkunstwerk. Was Haneke in “Funny Games“ der Imagination des Zuschauers überlässt und ihn damit konfrontiert (einer der Bösewichte wendet sich im Film direkt zur Kamera und spricht mit dem Publikum), wird bei THC2 auf die Spitze getrieben.

Der Film ist keine Gewaltverherrlichung, ganz im Gegenteil. Er ist explizit in seiner Darstellung, er zwingt einen die Grenzen des guten Geschmacks weit zu übertreten, er tut weh.

Doch: wer sich so einen Film bis zum Schluss anschaut - antut - der möchte das auch, oder? Jemand, der nicht auf die Stoptaste drückt und den Film weiterlaufen lässt, der fordert es heraus, oder?

Und Tom Six hat mit "The Human Centipede 2" dem Publikum das gegeben, was es nicht erwartet hat: einen Film, der die Erwartungen übersteigt und überreizt.

Wer sich nun darüber aufregt, ist selbst schuld. Denn wäre nicht das Interesse an dieser Art von "Unterhaltung" da, gäbe es diese Filme nicht.

Mein Fazit: "The Human Centipede 2 - The Full Sequence" hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Den schnellen Kick, den man für gewöhnlich durch gewöhnliche Horrorfilme sucht, bekommt man hier nicht. Dafür ist er zu brutal und pervers. Aber ich habe mich eben gefragt, warum ich nicht die Stoptaste gedrückt und das Machwerk beendet habe. Sollte ich eine Antwort finden, werde ich sie kundtun.

Der Mensch ist ein Tier.